Der Geschäftsführer von Haver & Boecker Niagara, Peter Grotjohann, im Interview über die veränderten Betriebsanforderungen an den Anlagenbau in der Aufbereitungstechnik.
GP: Was unterscheidet die Planung einer stationären Aufbereitungsanlage heute von den Wünschen, die vor etwa zehn, 15, 20 Jahren an Sie als Hersteller bzw. Generalunternehmer herangetragen wurden?
Peter Grotjohann: Haver & Boecker Niagara hat in den letzten Jahren viele Anlagenprojekte erfolgreich realisiert. Rückblickend kann man sagen, dass früher die gesamte Anlagenplanung als solche eher Kundensache war. Vielfach haben die Hersteller ihre Anlagenkomponenten für das jeweilige Projekt einzeln geliefert. Aktuell wird eher ein „Rundum-sorglos-Paket“ bevorzugt. Der Anlagenproduzent wird wieder stärker als Partner anstatt nur als Lieferant wahrgenommen und geschätzt. Auch die Qualitätsanforderungen an die Prozesstechnologien sind gestiegen. Hinzu kommen die Anforderungen an höchste Sicherheit für Mensch und Umwelt, das heißt Anpassungen an CE-Konformität und Maschinenrichtlinien, die Reduzierung von Staub- und Lärmemissionen und natürlich, nicht zu vergessen, die Energieeffizienz. Für Anlagenbauer und Kunden bieten Gesamtkonzepte von einem Lieferanten auch Vorteile: Schnittstellen werden minimiert und Gesamtverantwortung wird klar zugeordnet.
Welche Gründe dominieren diesen veränderten Bedarf?
Peter Grotjohann: Wirtschaftlichkeit und Flexibilität werden in den Unternehmen großgeschrieben. Um dies zu erreichen, müssen Schnittstellen und Personalaufwand optimiert werden. Dazu kommt heute immer mehr der Aspekt einer optimalen Ausnutzung der erschlossenen Lagerstätteninhalte. Um das zu erreichen, müssen Anlagen flexibler sein, zum Teil neue Produktlinien bedienen oder auch ausfrüheren Abfallprodukten der Nebenströme Verkaufsprodukte herstellen können.
Überwiegen aktuell Neuinstallationen oder werden mehr Modernisierungen gewünscht?
Peter Grotjohann: Wir verspüren einen Trend zu beiden Alternativen. Hohe Anforderungen und stetig wachsende technologische und produkttechnische Standards in Verbindung mit der Wirtschaftlichkeit stehen im Fokus. Heute gibt es keine Entschuldigung mehr, eine alte Anlage nicht auf dem neuesten Stand zu halten. Modernisierungen zahlen sich aus und das merken unsere Kunden.
Wo setzt die Modernisierung überwiegend an?
Peter Grotjohann: Meist werden kleinere Veränderungen und Anpassungen gewünscht, um beispielsweise zusätzliche Trennschnitte realisieren zu können. Hinzu kommen Kapazitätserweiterungen oder Umstellungen auf neue Produkte. „Wirtschaftlichkeit und Flexibilität werden in den Unternehmen großgeschrieben!“
Welche Rolle spielt die Flexibilität der Anlagentechnik – und zwar im doppelten Sinne: Einmal beim Reagieren auf Materialschwankungen ohne Qualitätsverluste und auch beim eventuell leicht möglichen Versetzen einer Anlage bei Bedarf und/oder erforderlichem Ortswechsel?
Peter Grotjohann: Die Flexibilität der Anlage ist bereits in der Planungsphase ein wichtiger Faktor. Dabei werden entscheidende Aspekte wie Produktqualität und Prozesssicherheit in den Vordergrund gestellt. Zunehmend werden dafür „selbstregelnde Maschinen und Prozesse“ verlangt, die sich an veränderte Aufgabebedingungen anpassen und somit eine Unterstützung leisten, die noch vor einigen Jahren in dieser Form nicht darstellbar war. Die Entfernung zwischen der Gewinnungsstelle in einem Steinbruch oder einer Kies- bzw. Sandgrube und der Aufbereitungsanlage lässt sich mit einer flexiblen Anlage minimieren, was natürlich aus Kosten- und Effektivitätsgründen sinnvoll sein kann. In diesem Zusammenhang fällt Branchenkennern unmittelbar die klassische Mobilanlagentechnik ein. Es gibt inzwischen hier aber auch Entwicklungen, die sich in Größe und Ausrichtung von solchen Anlagen abheben. Unsere neue Mobilanlage Niagara F-Class 1100 kann hier als Beispiel dienen. Dieses einzigartige System auf Rädern, welches zu ersten Mal ein Exzentersieb mobil macht, haben einige unsrer Kunden in Nordamerika seit Jahren in sehr erfolgreichem Einsatz. In Europa und in Deutschland sucht die Maschine noch nach Pionieren. Die Erfahrung zeigt, dass sich der Einsatz von mobilen oder semimobilen – bzw. leicht versetzbaren – Anlagen bei der erfolgreichen Bewältigung von Genehmigungsverfahren günstig auswirken kann.
Welche Bedeutung messen Betreiber der Überwachung, Automatisierung und Energieeffizienz bei?
Peter Grotjohann: Bei der Anlagenplanung und Anlagenentscheidung hat die Maschinenüberwachung, Automatisierung und Energieeffizienz einen sehr hohen Stellenwert. Die dauerhafte Zustandsüberwachung der wichtigsten Parameter wird von unseren Kunden als immer wichtiger eingestuft, um frühzeitig entstehende Abweichungen zu erkennen und unerwünschte Produktionsstillstände zu vermeiden. Das von Haver & Boecker Niagara entwickelte Pulse Condition Monitoring System ermöglicht eine intelligente und hocheffiziente Steuerung der Wartungsarbeiten. Darüber hinaus werden diese Daten für die Kommunikation der Maschinen untereinander verwendet, um so autonome Regelkreise zwischen einzelnen Maschinen oder ganzen Anlagen entstehen zu lassen. Ein Kundenwunsch steht hierbei im Fokus: Die Daten müssen so einfach und kompakt wie möglich dargestellt werden, da die Datenflut wächst und gleichzeitig die Personaldecke in den Werken abnimmt. Das Pulse System ist Teil der Quat²ro Familie. Als Quat²ro werden alle digitalen Produkte sämtlicher Technologiemarken von Haver & Boecker bezeichnet, die Betreibern Informationen wunschgemäß zur Verfügung stellen.
In der heutigen Zeit wird die Effizienz einer Aufbereitungsanlage in einem großen Maß durch die Automatisierungstechnik beeinflusst. Hierbei nehmen neben den Antriebs- und Steuerungsfunktionen insbesondere Analysesysteme zur permanenten Überwachung der Anlagen zur Vermeidung von Überlastungen, Störungen und Ausfällen sowie zur Durchführung von vorausschauenden Wartungen eine immer größere Bedeutung ein. Durch permanente Prozess überwachungen und automatisierte Anpassung der Prozessparameter werden Qualität und Gleichmäßigkeit der aufbereiteten Materialien verbessert und gleichzeitig die Betriebszustände der Anlagen optimal eingestellt, um die Produktgüte zu maximieren, die Anlagentechnik optimal zu betreiben und den erforderlichen Energieaufwand zu minimieren.
Ist die Wartungsfreundlichkeit von Komponenten ein Entscheidungskriterium?
Peter Grotjohann: Eindeutig „ja“! Verschleißteile sollten bei einer Anlage immer gesondert aufgeführt werden, damit ein reibungsloser Aus-tausch stattfinden kann. Ein gutes Logis-tikkonzept für die zeitgenaue Bereitstellung von Ersatz- und Verschleißteilen kann ebenfalls den Ausschlag für eine positive Entscheidung geben. Die von Haver & Boecker Niagara angebotenen „Make and Hold“- Konzepte verschaffen Anwendern einen Liquiditätsvorteil ohne zusätzliche Lagerkosten bei sicherer Lieferzeit. In diesem Zusammenhang ist für unsere Kunden Verlässlichkeit manchmal wichtiger als der Preis. Auch Montage und Demontage bedürfen einer speziellen Beachtung. Insbesondere beim Wechsel von Siebbelägen haben wir sehr interessante Lösungen entwickelt, welche den Austausch einfacher und schneller machen. Unser neues Ty-Rail-System zum Spannen von Siebbelägen können Interessenten noch dazu bei uns jederzeit testen.
Können Sie ein Beispiel nennen/beschreiben, das den neuen „Wunschkanon“ ganz oder in Teilen in sich vereint?
Peter Grotjohann: Die Erwartung der Kunden, einen Partner anstatt einen Lieferanten zu finden, nehmen wir sehr ernst. Kundenorientierte Projektbetreuung vom ersten Gespräch an bis in die Produktionsphase hat bei uns einen so hohen Stellenwert, dass wir dafür einen ganzheitlichen Ansatz entwickelt haben. Wir nennen das Konzept Pro-Check. Es besteht aus acht Segmenten die so entwickelt wurden, dass sie in ihrer Summe den gesamten Lebenszyklus der Anlage lückenlos betreuen. Von der ersten Projektskizze über die intelligente Automatisierung bis hin zur permanenten automatischen Qualitätskontrolle während des Verladeprozesses bietet Pro-Check vielfältigste Gestaltungsmöglichkeiten. Dabei geht es nicht nur um die Technik an sich, sondern auch um sämtliche Dienstleitungen von der Wartung bis hin zu vollwertigen Betreiberkonzepten.
*Erstveröffentlichung des Artikels in Gesteinsperspektiven: GesteinsPerspektiven 02/22 (yumpu.com)
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Florian Festge,